29 Jul Juli Gudehus im Interview: Das Projekt „Gestaltung für den Arsch“
Der heutige Blogpost ist eine Premiere! Du liest hier das erste Interview (von hoffentlich vielen). Dieses Mal mit der Gestalterin Juli Gudehus.
Juli lebt in Berlin und macht tolle Sachen! Stefan Sagmeister sagt über sie:
»Juli Gudehus is probably the purest conceptual designer I know«
(in: »area – 100 graphic designers«, Phaidon).
Ich habe mich mit Juli getroffen, um sie über ihr aktuelles Kreativprojekt auszuquetschen. „Gestaltung für den Arsch“ heißt es und ist eine ganz besondere Sammlung!
Juli ist neben ihrer gestalterischen Tätigkeit auch leidenschaftliche Sammlerin. Und in der Corona-Zeit hat es eine ihrer Sammlungen zu Berühmtheit gebracht: Es handelt sich um internationale Klopapiere! Mehr dazu jetzt:
Hallo Juli, wer bist Du und was machst Du gerade?
Hey, Roberta! Ich bin Gestalterin, Sammlerin und Autorin. Alle meine Sammlungen drehen sich um Gestaltung im Alltag und die meisten davon starte ich, um daraus etwas Neues zu machen. Sammeln und sortieren ist für mich eine phantastische Kreativitäts-Maschine, darum biete ich dazu auch einen Workshop an!
Spontanissimo hatte ich zu Beginn der coronabedingten Eremitierung im März beschlossen, auf YouTube Einblick in eine ganz bestimmte meiner vielen Sammlungen zu geben. Mein Hauptgedanke dabei war: derzeit interessiert sich alle Welt für Klopapier und ich habe so viel zu zeigen und darüber zu erzählen – ich mach das jetzt einfach.
Wie kommt man denn auf so ein Thema???
Für das Jahr 1999 hatte ich einen Abreißkalender gestaltet, der auf 365 Blättern je ein Verfallsdatum zeigte – von Keksen, Milch, Kartoffelchips und so weiter. Dieser Mindesthaltbarkeitskalender machte damals richtig Furore. Darum überlegte ich, was ich folgen lassen könnte und dachte: haha, für das Jahr 00 mache ich einen Klopapierkalender! Dazu kam es dann zwar nicht, aber mit dem Sammeln fuhr ich trotzdem fort.
Und wie umfangreich ist inzwischen Deine Sammlung?
Sie umfasst auf den heutigen Tag 847 einzelne Blatt aus etwa 30 Jahren und ungezählten Ländern. Ungezählt sind die Länder, weil ich leider keinerlei Notizen zu den Exponaten gemacht habe. Was ich über sie weiß, habe ich mir einfach gemerkt. Auf jeden Fall weiß ich, dass ich zum Beispiel in Japan, den USA und Lettland Klopapier gekauft habe und dass mir Klopapier etwa aus der Ukraine, aus Eritrea und den Niederlanden »gestiftet« wurde. All diese Blätter habe ich in A5-Klarsichthüllen archiviert, jeweils mit einem weißen Blatt Papier dahinter – ein bisschen wie eine Schmetterlingssammlung.
In meinen bürokratischen Aktenordnern habe ich diese Schätze thematisch sortiert und diese Themen bilden auch den roten Faden durch meine YouTube-Folgen. Da gibt es zum Beispiel eine über Bären, eine andere über Fehler, wieder andere über Fußball, Jahreszeiten, Noppen und so weiter. Das Thema der letzten Folge war Katzen.
Was reizt Dich denn so an Klopapier?
Nicht ohne Grund nenne ich meine YouTube-Reihe »Gestaltung für den Arsch«. Als Gestalterin erlebe ich häufig, wie viel von dem mit viel Liebe und Bedacht gestalteten übersehen und für minderwichtig gehalten wird. Das zeigt sich für mich bei Klopapierdesign ganz besonders deutlich. Die meisten Hersteller zeigen auf ihrem Klopapier offenbar meist, was grad so kommt oder was Mode ist. Insofern fand ich neulich besonders sprechend, dass im Supermarkt in ein und der gleichen Verpackung unterschiedliche Prägungen verkauft wurden (siehe Abbildung) ! So egal scheint der Firma zu sein, wie das eigene Produkt gestaltet ist. Scheißegal. Naja. Aber letztlich nehmen ja auch tatsächlich wohl sehr viele Menschen kaum wahr, womit sie sich den Po abwischen.
Überlegungen zur eigenen Marke, zu einer Wiedererkennbarkeit, zum Potential als Einrichtungs-Accessoire und als Medium, das so viele Haushalte erreicht – all das erkenne ich bei all meinen Exponaten nur bruchstückhaft. Andererseits beobachte ich sehr viel anderes: Zeitgeschmack, kulturelle Eigenheiten, konsensfähige Themen und Motive.
Ich weide mich an Ungereimtheiten bis hin zur Absurdität. Ich finde spannend, Klischees und Standards zu identifizieren, menschlicher Denkweise nachzuspüren, verschiedene Humorlagen zu entdecken … die Welt des Klopapierdesigns ist in meinen Augen ein Quell von Erkenntnissen, die sich auf andere Gebiete der Gestaltung ohne weiteres übertragen lassen.
Was sind Deine kuriosesten Fundstücke?
Zu den Hits in meiner Sammlung zählen Klopapier, das wie Krepppapier aussieht und sich auch so anfühlt. Klopapier, das wie Pergamin aussieht und ganz glatt ist. Ein kackbraunes Klopapier aus den frühen 80er Jahren, Klopapier der Deutschen Bahn – also ehemaliges Staatseigentum. Ein mit Tarnmuster bedrucktes Klopapier, das jedoch KEINE Eigenmarke der Bundeswehr ist, hm, was noch? Ein Regenbögen pupsendes Einhorn (siehe Abbildung oben), ein steppender und Eier jonglierender Osterhase, eine sprechende Klopapierrolle, Kakteen und Stecknadeln, Trump und Putin, … ach, komm einfach mal auf YouTube gucken!
Liebe Juli, danke für das Gespräch!
Juli taucht übrigens hier nicht das erste Mal in diesem Blog auf. Schau Dich gern nochmal um, entdeckst Du sie ein weiteres Mal?
(Auflösung gefällig? Dann klicke hier.)
Philipp Zimmermann
Erschienen am 11:46h, 04 August😂 wundervoll👍
Roberta
Erschienen am 13:19h, 04 AugustDanke, das wird Juli freuen zu lesen! 🙂
Michaela Müller
Erschienen am 18:33h, 31 AugustDas ist soo genial! Ich bin total begeistert. Wusstet ihr, dass hier in Bergisch Gladbach gerade eine Ausstellung über Klopapier läuft (das war auch unabhängig von Corona)
Roberta
Erschienen am 18:58h, 31 AugustNee, wusste ich nicht! Werde ich gleich Juli erzählen! Danke für die Info 🙂
Kathrin
Erschienen am 21:43h, 19 MärzHihi – sehr cool. Das muss ich mir anschauen …
Roberta
Erschienen am 12:26h, 20 MärzHi Kathrin, ja, mach das unbedingt, lohnt sich und Juli wird sich sehr freuen 🙂
Lieben Gruß Roberta